[Hinweise zum Inhalt: sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungsentschuldigungen]
„Man kann schließlich von keinem Mann erwarten, dass er ‚Nein ich will keinen Sex‘ versteht!“ Mehr fällt einer dieser Tage nicht ein, wenn sie die Geschichte des Freispruchs in Marl liest, bzw. der Berichterstattung danach. Ein bereits durch Vergewaltigungsentschuldigungen aufgefallener Rechtsanwalt und Blogger bestätigt, dass ein Gewalttäter vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen werden muss. Weil die Betroffene „nur“ „Nein, ich will nicht“ sagte, sich aber nicht „genug“ gewehrt hat. Und auch der Spiegel lässt den Anwalt des 15-Jährigen Mädchens erzählen, in einem Rechtsstaat habe das Gericht so entscheiden müssen. Denn der §177 des Strafgesetzbuches besagt:
“Wer eine andere Person
1. mit Gewalt,
2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder
3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,
nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.”
Dies, so der Anwalt, seien „objektive Kriterien“, ohne die „kaum bewiesen werden könne, ob eine Frau die Wahrheit sagt, wenn sie von dem Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung berichtet.“ Kotztüten raus, die Frauen als ständigen Lügnerinnen. Was für eine „objektive“ Definition von Gewalt und Drohungen haben wir hier eigentlich? Zählt da verbale Gewalt? Wie explizit müssen Drohungen sein? Ist „der Typ hat schon mal eine Frau verprügelt“ keine unmissverständliche Botschaft an alle anderen Frauen, die sich aus welchen Gründen auch immer, in seiner Nähe befinden? Und dann der unsägliche Quatsch der „Schutzlosigkeit“. Die Betroffene hätte ja schreien können und war deshalb nicht „schutzlos“.
Doch ob es etwas bringt, sich zu wehren, oder im Gegenteil die Gewalt eskalieren lässt, ist für Betroffene schwer einzuschätzen. Immerhin geht es bei Vergewaltigungen nicht um Sex, sondern Machtausübung. Außerdem, so erinnert die Emma, ist „Nichtstun“ eine völlig normale Reaktion. Noch schlimmer ist da nur noch die Angst besagten Bloggers, jeder einvernehmliche Sex könne in eine Vergewaltigung umgedeutet werden. Weil ein „Nein“ so furchtbar schwer zu verstehen ist und alle Frauen Betroffenen lügen. Ist Eure Kotztüte auch schon so voll?
An dieser Stelle kann ich nur noch einmal die Lektüre des Interviews mit der Juniorprofessorin Ulrike Lembke empfehlen. Sie fordert, dass sich nur noch qualifizierte Kräfte mit Sexualdelikten beschäftigen, ansonsten würden Urteile vor allem mit „Vergewaltigungsmythen, Geschlechterstereotypen, opferbeschuldigendem Alltagswissen, täterentlastenden Gewaltkonstruktionen [und] der Ignoranz von Erkenntnissen der Traumaforschung“ gefällt. Dies führe zu faktischer Straflosigkeit von sexualisierten Gewaltdelikten. Dieses Urteil ist leider das beste Beispiel für den traurigen Zustand unseres „Rechtsstaates“.